User Experience in Bibliotheken: Einblicke in die SLU-Universitätsbibliothek in Schweden

Ein Interview mit Kitte Dahrén

Ungefähr 50 Mitarbeiter:innen hat die Universitätsbibliothek der schwedischen Universität für Agrarwissenschaften (SLU). Diese sind verteilt auf mehrere Standorte im ganzen Land; Hauptstandorte sind Uppsala, Umeå und Alnarp. Kitte Dahrén ist eine von ihnen. Sie arbeitet am Standort Uppsala. Ihre Mission: Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen die Bibliotheksservices durch Methoden der User Experience (UX) zu verbessern.

Für Kitte fing dabei alles 2014 mit einem Kurs zu Design Thinking an: für sie die reinste Offenbarung. Seither ist ihr Potpourri an UX-Methoden stetig gewachsen – Usability-Tests, Interviews, Beobachtungen, kognitives Mapping, Karten sortieren…

Im Interview erzählt sie, was ihre Geheimwaffe zur Motivation von Nutzer:innen ist, was ihre drei wichtigsten Erkenntnisse aus sieben Jahren User Experience sind, warum sie es für essenziell hält, alle Kolleg:innen mitzunehmen, und was eine Zwiebel damit zu tun hat. Am Schluss verrät Kitte, wer sie inspiriert hat, und gibt Buchtipps für UX-Einsteiger:innen.

Das Interview ist Teil unserer Reihe zu User Experience in Bibliotheken. Alle Interviews aus der Reihe finden sich unter dem Schlagwort „User Experience“.

Kitte, du arbeitest im Bereich User Experience (UX) an der Bibliothek der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften (SLU). Wann und warum hast du damit angefangen? Was bedeutet das praktisch?

Im Jahr 2014 habe ich an einem Design-Thinking-Kurs teilgenommen, der für mich eine Art Offenbarung war. Davor war ich oft frustriert darüber, dass Bibliotheksmitarbeiter:innen zu denken schienen, dass sie sich auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen konzentrieren, während sie in Wirklichkeit nur Dienstleistungen aus ihrer eigenen Sicht entwickelten. Während des Kurses lernte ich, wie man Nutzer:innenprobleme und -bedürfnisse erforscht, Prototypen für mögliche Lösungen erstellt und diese weiter ausarbeitet. Ich fühlte mich befähigt und hatte endlich das nötige Rüstzeug, um aktiv zu werden.

Hier begann alles für mich auf persönlicher Ebene, aber offiziell bekam ich meine Stelle als UX-Koordinatorin im Jahr 2017. Zu diesem Zeitpunkt war User Experience ein Ziel im Strategieplan unserer Bibliothek, und heute ist die Absicht, mit nutzer:innenzentrierten Methoden wie UX-Methoden zu arbeiten, sowohl bei den Mitarbeiter:innen als auch in unserer Leitung stärker verankert. UX-Arbeit hängt nicht mehr vom Interesse einzelner Personen ab.

Illustration des UX Buttons von Börje Dahrén.

Meine Aufgabe ist es, die bibliotheksinterne Methodenunterstützung namens “The UX Button” zu koordinieren, bei der ich zusammen mit meinen brillanten Kolleginnen Ingela Wahlgren und Sarah Meier (die mir freundlicherweise bei der Beantwortung dieses Interviews geholfen haben) Kolleg:innen unterstütze, die mit User Experience arbeiten möchten, um ihre Dienstleistungen zu verbessern. Die Unterstützung ist skalierbar, vom einfachen Brainstorming für potenzielle UX-Methoden bis hin zur Übernahme der Projektleitung durch eine von uns. Es hängt alles von der Priorität des Projekts ab und davon, wie viel Zeit wir im Moment erübrigen können.

Die SLU-Universitätsbibliothek hat etwa 50 Mitarbeiter:innen, die über verschiedene Standorte in ganz Schweden verteilt sind. Genau wie die Universität selbst arbeiten wir als eine Bibliothek zusammen, und folglich musste sich die UX-Methodenunterstützung lange vor der Pandemie auf digitale Werkzeuge stützen.

Was sind eure Ziele mit UX? Habt ihr sie erreicht?

Vielleicht versteht es sich von selbst, aber unser Hauptziel mit UX in unserer Bibliothek ist es natürlich, unseren Benutzer:innen relevante und nutzbare Dienste und Systeme anzubieten. Die Arbeit trägt langsam aber stetig Früchte, und vielleicht ist eine Erklärung für die Langsamkeit unsere Art, UX einzubinden. Wir wollen nicht, dass ein Expert:innenteam die gesamte UX-Arbeit erledigt, sondern dass alle an Bord sind. Um zu verstehen, warum wir uns entschieden haben, User Experience auf diese Weise einzubinden, muss man wissen, dass unsere Organisationsstruktur und -kultur nicht hierarchisch ist und unsere Bibliothek eine starke interne Kultur der Mitgestaltung hat. Unsere Berufsrollen und Stellenbeschreibungen sind nicht in Stein gemeißelt, und es gibt viel Raum für Eigenverantwortung.

Die Illustration der “Onion” wurde von Kitte Dahrén nach einem Modell von Malin Jenslin erstellt.

Das Modell, das ursprünglich von Malin Jenslin entwickelt wurde, erklärt unser Konzept zur Einbettung von UX auf organisatorischer Ebene. Es ist wie eine Zwiebel, mit all ihren Schichten.

  1. Der innerste Kreis, Kern genannt, ist die interne UX-Unterstützung der Bibliothek – “The UX Button”. Unsere Aufgabe ist es, das Wissen der Organisation über UX-Methoden zu vertiefen und zu erweitern, und wir sind dafür verantwortlich, dass sich unsere Bibliothek weiterhin in Richtung unserer strategischen Ziele bewegt.
  2. Im zweiten Kreis finden sich Kolleg:innen, die aktiv mit User-Experience-Methoden arbeiten, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse unserer Nutzer:innen an unsere Dienstleistungen und Systeme erfüllt werden. Es liegt in der Verantwortung unseres Managements, die bestmöglichen Bedingungen und Organisationsstrukturen zu schaffen, damit wir auf diese Weise arbeiten können.
  3. Im dritten Kreis finden sich die Personen, die sich der Möglichkeiten von UX bewusst sind und wissen, wie sie zu einem Ziel beitragen können, die aber nicht aktiv an der täglichen UX-Arbeit beteiligt sind.
  4. Im äußersten Kreis befinden sich die Menschen, die noch nicht wissen, worum es bei UX geht.

Das langfristige Ziel ist, dass der äußere Kreis nicht mehr existiert. Und wenn es ihn nicht mehr gibt, wird der innerste Kreis gar nicht mehr gebraucht. Wenn alle unsere Kolleg:innen entweder aktiv mit UX arbeiten oder sich der Bedeutung von UX bewusst sind, ist unsere Arbeit getan.

Welche UX-Methoden wendet ihr in der SLU-Universitätsbibliothek an?

Wir wählen die Methoden immer abhängig davon, was wir herausfinden wollen. Im Laufe der Jahre haben wir Usability-Tests, Interviews, Beobachtungen, kognitives Mapping, Karten sortieren und vieles mehr durchgeführt. Wir probieren gerne neue Methoden aus, indem wir sie auf ein konkretes Projekt anwenden – learning by doing. Im Moment sind wir zum Beispiel daran interessiert herauszufinden, wie Studierende die Bibliothek nutzen, wenn sie nicht besetzt ist (sie können sie mit ihren Schlüsselkarten betreten). Ist es einfach für sie zu verstehen, wie man den Selbstbedienungsautomaten benutzt oder ein Buch im Regal findet? Um diese Fragen zu klären, planen wir ein Experiment, bei dem die Nutzer:innen selbst mit einer Action-Kamera dokumentieren sollen, wie sie grundlegende Aufgaben in der Bibliothek erledigen.

Kannst du uns ein praktisches Beispiel geben, bei dem ihr UX erfolgreich zur Lösung eines Problems eingesetzt habt?

Ich denke, es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass viele kleine Änderungen an unseren Diensten, die aus den Erkenntnissen der UX-Forschung resultieren, zu Verbesserungen für unsere Nutzer:innen führen. User-Experience-Arbeit muss nicht zu bahnbrechenden Innovationen führen, um als Erfolgsgeschichte zu gelten. Ein Beispiel aus unserer Bibliothek ist ein Projekt, bei dem meine Kolleg:innen ein neues Suchwerkzeug für die von der Bibliothek angebotenen Datenbanken entwickelt haben. Mit Unterstützung von “The UX Button” führten sie Usability-Tests durch, wie sie von Steve Krug in „Raketenwissenschaft leicht gemacht – Der Do-It-Yourself-Leitfaden zum Auffinden und Beheben von Usability-Problemen“ (Rocket Surgery Made Easy – The Do-It-Yourself Guide to Finding and Fixing Usability Problems.) beschrieben werden. Die Beobachtung der Testteilnehmer:innen bei der Verwendung des Tools ergab, welche Probleme vor dessen Einführung gelöst werden mussten, und führte zu einem nützlicheren Produkt.

Ich empfehle Krugs Methode für Usability-Tests sehr – sie ist einfach einzurichten, kann aus der Ferne durchgeführt werden und führt immer zu verwertbaren Erkenntnissen. Eine:n Studierende:n oder Forschende:n bei der Nutzung eines Dienstes zu beobachten, ist eine sehr eindrückliche (und manchmal sogar etwas schmerzhafte) Erfahrung, weil sie einem klarmacht, dass der Dienst vielleicht nicht so selbsterklärend ist, wie man immer dachte. Wir werden unsere Arbeit mit Remote-Usability-Tests während der Pandemie auf der ausgezeichneten „International Conference in Performance Measurement in Libraries“ (LibPMC) im November vorstellen.

Für die Anwendung von User-Experience-Methoden braucht man Bibliotheksnutzer:innen, die bereit sind, sich zu beteiligen. Wie schafft ihr es, diese zu finden und zu motivieren?

Seit ein paar Jahren ist unsere beste Lösung ein Bibliotheksnutzer:innenpanel. Jede:r kann an diesem Panel teilnehmen, egal ob er:sie Student:in, Mitarbeiter:in oder gar nicht mit der SLU verbunden ist. Wir sind bestrebt, gegen Diskriminierung bei unseren Dienstleistungen vorzugehen, und möchten daher ein Panel schaffen, das so vielfältig wie möglich ist.

Wenn wir für eine Nutzer:innenstudie rekrutieren wollen, senden wir einfach eine E-Mail an ausgewählte Mitglieder des Panels mit der Bitte um Teilnahme, und in den meisten Fällen melden sich einige Personen freiwillig. Die Student:innen erhalten als Dankeschön für ihre Zeit ein kleines Geschenk, normalerweise eine Kinokarte. Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass die Nutzer:innen das Geschenk als Bonus betrachten und gerne zur Verbesserung von Diensten und Systemen beitragen, auf die sie bei ihrer Arbeit oder in ihrem Studium angewiesen sind.

Unser Nutzer:innenpanel besteht hauptsächlich aus Student:innen. Es war schwieriger, Forschende und andere Angestellte zu finden, die bereit waren, sich anzumelden (aber das könnte auch daran liegen, dass wir das Panel hauptsächlich an Student:innen vermarktet haben). Bei der Rekrutierung von Universitätsmitarbeiter:innen müssen wir uns oft auf persönliche Kontakte verlassen, aber in der Regel finden wir am Ende Leute, die bereit sind, mitzumachen.

Was sind die – sagen wir mal – drei wichtigsten Erkenntnisse, die ihr aus der Anwendung von User- Experience-Methoden in der SLU-Universitätsbibliothek gewonnen habt?

  1. Design ist schwieriger als Forschung. Es ist einfach, eine Menge Daten über das Verhalten und die Bedürfnisse der Nutzer:innen zu sammeln, aber man muss diese Daten richtig analysieren und Lösungen entwerfen, die man testen und weiterentwickeln kann, wenn man seine Dienstleistungen verbessern will. Achten Sie darauf, dass Sie das richtige Problem lösen und nicht nur die am niedrigsten hängenden Früchte pflücken, und verlieben Sie sich nicht in Ihre Lösung.
  2. Sie müssen viel Geduld haben, um UX in Ihrem Unternehmen zu verankern. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass das UX-Button-Team nicht damit beschäftigt ist, die gesamte Nutzer:innenforschung durchzuführen. Wenn wir das täten, würde die Qualität der eigentlichen Forschung vielleicht besser werden, weil wir Erfahrung haben. Es würde den Prozess sicherlich beschleunigen. Aber ich denke, dass die Tatsache, dass unsere Kolleg:innen die Verantwortung für ihren eigenen UX-Forschungs- und Designprozess tragen, es auf lange Sicht einfacher macht, Zustimmung zu erhalten.
  3. Manchmal finden Kolleg:innen UX-Methoden anfangs beängstigend, weil es sie aus ihrer Komfortzone stoßen könnte, eine:n Studierende:n zu bitten, eine kognitive Karte zu zeichnen oder eine:n Forschende:n über ihren:seinen Publikationsprozess zu befragen. Geben Sie ihnen Zeit, ihre Ängste und Zweifel zu äußern, aber scheuen Sie sich auch nicht, sie herauszufordern. Kolleg:innen, die bisher behauptet haben, dass sie z. B. keine Interviews führen oder keine neuen Lösungen finden können, überwinden oft ihre Ängste und zeigen hervorragende Leistungen, wenn sie ihre Fähigkeiten ausprobieren dürfen, ohne beurteilt zu werden.

Habt ihr auch Methoden angewendet, die überhaupt nicht funktioniert haben? Was waren eure größten oder lustigsten Fehlschläge?

Für mich sind es nicht die Methoden, die nicht funktionieren, sondern Dinge wie suboptimale Umstände, Bürokratie oder übereilte Schlussfolgerungen bei der Datenanalyse, die ein Projekt scheitern lassen. Und selbst dann würde ich es nicht als Scheitern bezeichnen, denn man lernt während des Prozesses immer etwas Wertvolles, entweder über die Nutzer:innen oder über sich selbst und die eigene Organisation.

Vor ein paar Jahren machten wir mit einer Studentin eine sogenannte Touchstone Tour (PDF), und die Studentin zeigte uns eine Wand in einem der Campusgebäude, die mit goldgerahmten Porträts prominenter Persönlichkeiten aus der Geschichte der Universität behangen war. Diese Porträts zeigten zufällig alle Männer, und sie erzählte uns, wie diese “Wand der Schande” ihr “das Blut in den Adern gefrieren ließ”. Um zu zeigen, dass sich die Zeiten ändern, entwarfen wir einen Prototyp einer Wand mit Fotos von EhrendoktorINNEN der SLU, und als wir ihn testeten, wurde er von Student:innen und Mitarbeiter:innen begrüßt.

Die “Wand der Schande” und der “Prototyp” einer Wand mit Fotos von EhrendoktorINNEN der SLU.

Da unser Prototyp nur vorübergehend war, haben wir ihn schließlich abgenommen. Ich weiß, dass die Universitätsleitung als Ergebnis der Studie ein Projekt zur Schaffung eines moderneren und inklusiveren Umfelds in den öffentlichen Bereichen dieses Gebäudes geplant hat, aber bisher ist noch nichts geschehen. Ich mag es wirklich nicht, wenn man sich die kostbare Zeit seiner Nutzer:innen leiht, um ihnen zu helfen, und dann keine Lösungen für die von ihnen geäußerten Probleme liefert.

Was sind eure Tipps für Bibliotheken, die mit UX anfangen möchten? Was ist ein guter Startpunkt?

Versuchen Sie nicht, gleich als Erstes Berge zu versetzen. Fangen Sie klein an, und am besten mit etwas, bei dem Sie den gesamten Prozess kontrollieren und auf das, was Sie lernen, reagieren können. Angenommen, Sie und Ihre Kolleg:innen streiten sich über ein Detail, lösen Sie es, indem Sie einfach Ihre Nutzer:innen fragen oder sie beobachten. Um UX wirklich zu verankern, müssen Sie Ihr Management mit ins Boot holen. Mit Zeit und Geduld kann diese Arbeitsweise in Ihrem Team einen Dominoeffekt in Ihrer Organisation auslösen.

Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

UX und Bibliotheken – Leseempfehlungen von Kitte Dahrén

Mehr zu UX und Bibliotheken auf ZBW MediaTalk

Wir sprachen mit:

Kitte Dahrén arbeitet als UX-Koordinatorin und Bibliothekarin an der SLU-Universitätsbibliothek, Schweden. Sie koordiniert auch die strategische Kommunikation der Bibliothek und ist Teil des Website-Redaktionsteams. Sie ist auch auf LinkedIn und Twitter aktiv.
Porträt: Kitte Dahrén©

Diesen Blogpost teilen:

Fehlende deutsche Übersetzung

Interview: Wie Open Science die Welt wissenschaftlicher Bibliotheken verändert Working Out Loud: So wird die lernende Bibliothek unterstützt Moderator zwischen Makerspace und MOOC? Im Rahmen des Studiums wandelt sich die Rolle von Bibliotheken

View Comments

Publikationsverhalten in den Wirtschaftswissenschaften: Corona-Pandemie entpuppt sich als vorübergehender Schock
Nächster Blogpost